Quantcast
Channel: Krankheit – Rechtslupe
Viewing all articles
Browse latest Browse all 13

Austausch von Brustimplantaten – und die private Krankenversicherung

$
0
0

Eine Krankheit im Sinne von § 5 (1) b MB/KK 94 ist auch dadurch gekennzeichnet, dass sie eine nicht ganz unerhebliche Störung körperlicher oder geistiger Funktionen mit sich bringt und deshalb die Notwendigkeit einer Heilbehandlung begründet.

Ein Erfahrungssatz, wonach sich die versicherte Person mit allen ihr durch ärztliche Aufklärung bekannt gewordenen möglichen Krankheitsfolgen eines geplanten ärztlichen Eingriffs, die mit einer gewissen Häufigkeit beobachtet werden, im Sinne einer billigenden Inkaufnahme abfindet, besteht nicht.

Die (hier: bereits 2004 mittels) der Implantate herbeigeführte Brustvergrößerung hat nicht zu einer – mutwillig herbeigeführten – Krankheit im Sinne von § 201 VVG bzw. § 1 Teil – I (1) und § 5 Teil – I (1) Buchst. b AVB geführt.

Allgemeine Versicherungsbedingungen sind so auszulegen, wie ein durchschnittlicher, um Verständnis bemühter Versicherungsnehmer sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und unter Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs versteht.

Unter einer bedingungsgemäßen Krankheit wird ein solcher Versicherungsnehmer entsprechend dem allgemeinen Sprachgebrauch, wie er sich auf der Grundlage allgemein bekannt gewordener medizinischer Erkenntnisse herausgebildet hat, einen objektiv nach ärztlichem Urteil bestehenden anormalen, regelwidrigen Körper- oder Geisteszustand verstehen, wobei sich die Einstufung als „anormal“ aus einem Vergleich mit der normalen biologischen Beschaffenheit des Menschen, die Einstufung als „regelwidrig“ aus der ergänzenden medizinischen Bewertung eines anormalen Zustandes ergibt.

Eine Krankheit ist nach dem gewöhnlichen Sprachgebrauch auch dadurch gekennzeichnet, dass sie eine nicht ganz unerhebliche Störung körperlicher oder geistiger Funktionen mit sich bringt und deshalb die Notwendigkeit einer Heilbehandlung begründet.

Danach führt eine mittels ärztlichen Eingriffs vorgenommene Brustvergrößerung nach allgemeinem Sprachgebrauch zu keiner Krankheit im Sinne der Bedingung. Zwar mag die Implantation eines Fremdkörpers, etwa eines Silikonkissens, einen biologisch anormalen Körperzustand bewirken, medizinisch regelwidrig im Sinne einer Erkrankung ist dieser nach dem Verständnis eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers aber schon deshalb nicht, weil wenngleich nicht medizinisch geboten – er von einem Arzt unter Beachtung medizinischer Regeln und Sorgfaltsanforderungen herbeigeführt wird und bei normalem, komplikationsfreiem Verlauf auch nicht zur Störung körperlicher oder geistiger Funktionen führt und keinen Behandlungsbedarf begründet.

Dementsprechend wird beispielsweise in Teilen der Rechtsprechung zu Recht angenommen, eine medizinisch nicht gebotene, lediglich mit Blick auf die individuelle Lebensplanung durchgeführte Sterilisation führe nicht zu einer Krankheit. Denn eine solche mit ärztlicher Hilfe freiwillig herbeigeführte Unfruchtbarkeit wird ein Versicherungsnehmer nach dem allgemeinen Sprachgebrauch schon deshalb nicht als krankhaft ansehen, weil sie keinen weitergehenden Behandlungsbedarf auslöst. Lässt eine versicherte Person bewusst und gewollt einen ärztlichen Eingriff aus kosmetischen Gründen vornehmen, so wird auch der dadurch geschaffene Zustand selbst dann, wenn Fremdkörper implantiert werden, weder von der Rechtsgemeinschaft noch von einem durchschnittlichen Versicherungsnehmer als „krankhaft“ angesehen. Solche ärztlichen Eingriffe sind nicht verboten. Wer sie vornehmen lässt, will sich damit nicht in die Situation eines Kranken begeben. Soweit die Krankenversicherung behauptet und unter Sachverständigenbeweis gestellt hat, die Implantation von Silikonkissen führe in jedem Fall zu körperlichen Abwehrreaktionen, die einen fortschreitenden Prozess in Gang setzten, der dann zu Komplikationen wie einer Kapselfibrose führen könne, hat das Berufungsgericht entsprechende Feststellungen nicht getroffen. Sachverständig beraten hat es lediglich festgestellt, dass eine Kapselfibrose in 5% bis 20% der Fälle eintreten könne. Selbst wenn man aber unterstellt, dass auch in den übrigen Fällen stets körperliche Reaktionen auf die Implantate stattfinden, ist deren Behandlungsbedürftigkeit und ein Einfluss auf körperliche Funktionen nicht ersichtlich. Allein der Umstand, dass der Körper auf eingebrachte Silikonimplantate reagiert, schafft somit noch keinen Zustand einer bedingungsgemäßen Krankheit.

Hat mithin die 2004 durchgeführte Brustvergrößerung zunächst zu keiner bedingungsgemäßen Krankheit geführt, kommt es weder für den Leistungsausschluss nach § 201 VVG noch den aus § 5 Teil – I (1) Buchst. b AVB darauf an, ob sich die Patientin dieser Operation vorsätzlich und freiwillig unterzogen hat, denn Krankheiten im Sinne dieser Bestimmungen stellen allenfalls die späteren Komplikationen, d.h. die Kapselfibrose und die Implantatdislokation dar.

Die Krankenversicherung wäre nur dann leistungsfrei, wenn wie das Berufungsgericht jedenfalls in Bezug auf die Kapselfibrose weiter angenommen hat die Patientin auch diese sowie die Implantatdislokation zumindest billigend in Kauf genommen hätte. Die dazu vom Berufungsgericht angestellten Erwägungen halten rechtlicher Überprüfung indes ebenfalls nicht stand.

Das Berufungsgericht hat angenommen, eine versicherte Person nehme die Folgeerkrankung einer Operation jedenfalls immer dann billigend in Kauf, wenn es sich um eine nicht ganz fernliegende Folge des ursprünglichen Eingriffs, sondern um einen natürlichen Abstoßungsprozess handele, der in einer durchaus bedeutsamen Zahl von Fällen (hier in 5% bis 20% der Fälle) auftrete, und die versicherte Person vor der Operation darüber aufgeklärt worden sei. Damit hat das Berufungsgericht seiner Beweiswürdigung zur Frage des Vorsatzes der Versicherten einen unzutreffenden Erfahrungssatz zugrunde gelegt und die gebotene umfassende Prüfung nicht vorgenommen, ob die Patientin die Komplikationen nach ihrer Brustoperation vorsätzlich herbeigeführt hat.

Vorsatz ist gekennzeichnet durch das Zusammentreffen eines Wissens- und eines Wollens-Elementes in der Vorstellung der handelnden Person.

Die vorsätzliche Herbeiführung einer Krankheit durch eine versicherte Person erfordert deshalb zunächst ihr Wissen darüber, dass ihre Handlungsweise, etwa die Duldung eines medizinischen Eingriffs, zu dieser Krankheit führen kann, wobei die Vorstellung genügt, die Krankheit könne mögliche Folge der Handlung sein. Dieses Wissen kann, wie das Berufungsgericht noch zutreffend annimmt, insbesondere auch aus der ärztlichen Aufklärung über mögliche Folgen einer geplanten Operation herrühren. Wird eine versicherte Person wie hier darüber aufgeklärt, dass die operative Einbringung eines Fremdkörpers mit einer gewissen Häufigkeit einen natürlichen Abstoßungsprozess hervorrufen kann, so weiß die versicherte Person fortan um diese mögliche Gefahr.

Damit ist jedoch noch nicht geklärt, ob auch das Wollens-Element des Vorsatzes erfüllt ist, das zum Wissen des Handelnden hinzutreten muss. Zu Unrecht hat das Berufungsgericht eine diesbezügliche gesonderte Prüfung mit der Erwägung für entbehrlich erachtet, dass immer dann, wenn die versicherte Person über mögliche Operationsfolgen aufgeklärt werde und diese Folgen in einer „durchaus bedeutsamen Zahl von Fällen“ aufträten, bereits das so vermittelte Wissen bedingten Vorsatz begründe. Wäre das richtig, hätte die aus Haftungsgründen regelmäßig extensive medizinische Aufklärung über die mit einer gewissen Häufigkeit möglichen Folgen geplanter ärztlicher Eingriffe nach § 201 VVG den weitgehenden Verlust des Krankenversicherungsschutzes für danach eintretende Komplikationen zur Folge.

Das Wollens-Element des Vorsatzes ist nur dann gegeben, wenn der Handelnde im Wissen um den möglichen Eintritt eines schädlichen „Erfolges“ sich mit diesem im Interesse der Handlung in der Weise abfindet, dass er diesen Erfolg billigend in Kauf nimmt. Dabei ist nicht entscheidend, welche Schlüsse ein verständig handelnder Dritter in der Rolle des Handelnden aus dessen Wissen hätte ziehen können oder müssen, denn das könnte wenn der konkret Handelnde diese Schlüsse nicht gezogen hat – lediglich einen Fahrlässigkeitsvorwurf begründen. Entscheidend ist vielmehr allein die Vorstellung, die der konkret Handelnde mit seinem Verhalten verbindet. Dabei verläuft die Grenze zwischen bewusster Fahrlässigkeit und bedingtem Vorsatz bei der Prognose über den weiteren Geschehensablauf.

Das lässt sich was das Berufungsgericht verkannt hat nur für den Einzelfall unter hier unterbliebener – umfassender Würdigung der Fallumstände treffen. Ein Erfahrungssatz, wonach sich die versicherte Person mit allen ihr durch ärztliche Aufklärung bekannt gewordenen möglichen Krankheitsfolgen eines geplanten ärztlichen Eingriffs, die mit einer gewissen Häufigkeit beobachtet werden, im Sinne einer billigenden Inkaufnahme abfindet, besteht nicht. Einer solchen generalisierenden Betrachtung steht bereits die ebenfalls nur allgemeine Erwägung entgegen, dass sich Patienten einem ärztlichen Eingriff in aller Regel in der Hoffnung unterziehen, dieser werde erfolgreich und komplikationsfrei verlaufen. Welche Vorstellungen eine versicherte Person mit einem bevorstehenden ärztlichen Eingriff konkret verbindet, muss deshalb stets im Einzelfall geklärt werden.

Bundesgerichtshof, Urteil vom 17. Februar 2016 – IV ZR 353/14


Viewing all articles
Browse latest Browse all 13

Latest Images

Trending Articles





Latest Images